Ablauf der Störungen

Der Betroffene muss unbedingt regelmäßig von einem Psychiater behandelt werden. Die folgenden Informationen haben keinesfalls den Anspruch, die qualifizierte Meinung eines Arztes zu ersetzen. Sind stellen sich aus den Erlebnissen der Betroffenen zusammen. Wenngleich es nicht eine sondern verschiedene Sensitivitäten gibt, so gibt es doch unter Sensitiven einige Gemeinsamkeiten, die ausgetauscht werden können. Von diesem Austausch profitieren alle.

1. Eine schwierige Diagnose

Die Sensitivität ist meistens schwer zu diagnostizieren. Bis die richtige Diagnose gestellt ist, können Jahre vergehen. Kretschmer schreibt [1]

“De toute façon, pour déceler ces cas, en général, il est nécessaire de bien les approfondir. Ce qui prend beaucoup de temps. Il faut également établir un contact affectif psychothérapique avec ces malades. Les procédés habituels de descriptions, employés en psychiatrie de surface, ne permettront jamais de découvrir un délire de relation sensitif. Par conséquent on peut faire foi aux affirmations de certains auteurs qui disent  ne l’avoir jamais  rencontré.”

Die relative Seltenheit dieser Krankheit und die daraus resultierende Unbekanntheit machen es nicht leichter.

Die Vielgestaltigkeit der Sensitivität macht die Diagnose kompliziert: Die Störungen können sowohl unter den von Kretschmer beschriebenen 4 Formen als auch unter den auf der Startseite beschriebenen anverwandten Formen auftreten.

Die Ähnlichkeit zu anderen Störungen macht einen ihnen gegenüber differenzierte Diagnose schwierig.

Es ist insbesondere sehr schwierig, den akuten dissoziativen sensitiven Wahnsinn von der Schizophrenie zu unterscheiden. Kretschmer ergänzt diesbezüglich [2]:
“Des difficultés pronostiques sérieuses se posent dans les cas où des mécanismes de types de “réactions  schizophréniques” surgissent au point culminant d’un trouble sensitif, pour disparaitre ensuite sans laisser de traces.” Die Ähnlichkeit dieser beiden Krankheiten ist gefährlich, denn beide werden, wie wir später sehen werden, nicht mit den gleichen Medikamenten behandelt.

Schlussendlich wird die Diagnose durch die Tendenz der Betroffenen, ihre Störung nicht wahrhaben zu wollen, zusätzlich erschwert, wie die untenstehende Erklärung zeigt.

2. Tendenz zur Verleugnung

Die Betroffenen haben zu ihrer Krankheit gewöhnlich eine wechselnde und ambivalente Meinung.

Bei weniger schweren Fällen von Beziehungsneurosen können sie zum Beispiel anerkennen dass sie Verfolgungsängste haben, ohne jedoch einer medikamentösen Behandlung einzuwilligen. Es kommt jedoch auch vor, dass sie einer Behandlung zustimmen.

In Fällen schwersten Beziehungswahns oder akuten Wahnsinns, ist der Sensitive davon überzeugt, völlig gesund zu sein und glaubt, dass es die Anderen sind, die ihm schaden wollen. In solchen Fällen leugnet er seine Krankheit. Er kann beispielsweise monatelang seinen Arzt belügen idem er vorgibt, verschriebene Medikamente tatsächlich eingenommen zu haben. Er kann auch das Pflegepersonal hintergehen, indem er die Einnahme durch das Verstecken der Pille unter der Zunge vortäuscht, um sie später auszuspucken. In manchen Fällen hält er die Ärzte für Betrüger, die ihm Böses wollen.

Die Angehörigen spielen eine wichtige Rolle. Sie müssen so effektiv wie nur möglich sicherstellen, dass der Betroffene seine Medikamente auch wirklich einnimmt. Bei Verweigerung müssen sie den Arzt informieren und wenn nötig die Einweisung des Patienten fordern. Der Sensitive kann in der Tat mehrere Monate ohne Medikamente du ohne jeglichen Wahn verbringen. Dies kann ihn in seiner Gewissheit bestärken, nicht krank zu sein, weil seiner Meinung nach alles bestens ohne Medikamente funktioniert. Ein Wiederkehren der Wahnzustände ist jedoch sehr wahrscheinlich. Rückfälle müssen deshalb durch die kontinuelle Einnahme von Medikamenten verhindert werden, weil der Körper, so Kretschmer, sich nach und nach an Rückfälle gewöhnt (s. Beziehungsneurosen)

Die Leugnung der Krankheit macht eine effektive Medikamentöse Behandlung unmöglich. Sie demzufolge ein praktisch unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zu einer Stabilisierung. Es ist oft nicht einfach, einen Sensitiven von seiner Krankreit zu überzeugen. In der Tat ist es verständlich, dass das Eingeständnis seiner Eigenen Krankheit das Selbstwertgefühl nicht verbessert. Die überdurchschnittliche Selbstliebe der Sensitiven wir schwer verletzt. Außerdem lässt ihr starkes Misstrauen sie glauben, die Medikamente würden ihre Persönlichkeit verändern. Davon ausgehend ziehen die Betroffenen schnell Rückschlüsse auf ein Umfeld, das ihnen schaden wolle. Aus diesen mehr oder weniger bewussten Gründen, wollen sie sich ihre Krankheit nicht eingestehen.

Es gibt aber auch seltene Momente, an denen der Sensitive empfänglicher ist, als an anderen, und zwar beim Ausklang der Wahnphase. In diesem Moment ist sich der Betroffene seines Wahns und seiner dunklen Gedanken, die ihn tagelang umtreiben, voll bewusst. Er stellt fest, dass die Medikamente, anstatt ihn zu vernichten, ihm Ausgeglichenheit und Lebensfreude zurückgebracht haben. Dieser privilegierte Moment muss von Medizinern und Angehörigen dazu genutzt werden, dem Sensitiven mit viel Feingefühl zu erklären, dass er nur durch die Medikamente seine eigentliche Persönlichkeit wiedergefunden hat. Man muss ihn überzeugen, ohne ihn zu verletzen, denn er ist sehr empfindlich. Einige Monate später kann er schon wieder alles vergessen haben und die Behandlung ausgesetzt haben, ohne irgend jemanden darüber zu informieren.

 

1. Der Sensitive Beziehungswahn, 3. Ausgabe, 1963

2. Ibid. page 6