Die symptomatischen Aspekte

Das Erleben einer Demütigung durch eine sensitive Persönlichkeit ist die Grundlage für die Entstehung wahnhafter Gedanken. E. KRETSCHMER hat die unterschiedlichen Ausprägungen dieser Störungen, die alle zu ein und derselben Krankheit gehören, in vier Untergruppen eingeteilt.

  • Der sensitive Beziehungswahn
  • Der akute dissoziative Wahnsinn
  • Die sensitive Beziehungsneurose
  • Die Sprunghafte Wahnbildung, zu den Zwangsneurosen gehörend

E. Kretschmer weist darauf hin, dass zwischen diesen Zuständen Kombinationen und diverse Entwicklungsstadien möglich sind.

1. Der sensitive Beziehungswahn

Diese Form des Wahnsinns, bei weitem die häufigste, hat die systematische Symptomatik der Paranoia. Es handelt sich um einen systematischen Wahn, ähnlich der Obsession, einhergehend mit zwanghaftem, sich immer wiederholendem Grübeln. Er ist „nicht dissoziativ“, das heißt, dass sein Wahnmechanismus hauptsächlich interpretatorisch ist: Der Sensitive nimmt die Dinge richtig wahr, interpretiert sie jedoch falsch. Er gehört demnach nicht zur Gruppe der Schizophrenen. Er interpretiert beispielweise Worte oder Taten seines Umfelds als Verachtung oder Drohungen ihm gegenüber. Der Sensitive stellt seine Wahnsinnigen Gedanken auf subtile Weise auf ein kunstvoll verwinkeltes Gerüst. Alltägliche Gespräche, Zeitungsmeldungen, ungewöhnliches Verhalten von Bekannten oder Nachbarn werden falsch interpretiert.

Der Beziehungswahn ist laut E. KRETSCHMER nach dem psychopathologischen Mechanismus der „bewussten Retention affektstarker Vorstellungsgruppen“, beispielweise bei Sexualethischen oder beruflichen Konflikten. Diese Retention für zur Beibehaltung eines „vom Gewissen isolierten“ Zustands psychischer Anspannung, der, wie ein „parasitärer Körper“, eine affektive Verlangsamung verursacht.

Ist sie erst mal ausgebildet, unterscheidet sich die Sensitivität deutlich von den anderen Formen der Paranoia, sei sie leidenschaftlich oder interpretatorisch, durch ihre schnelle Reaktion auf leicht bemerkbare Ereignisse in der Umgebung, durch ihren asthenischen Charakter und das nicht Vorhandensein von Klagen jeglicher Art.

Die Inhalte der Wahnzustände sind hauptsächlich immer wiederkehrend:

  • Verfolgungswahn, Gefühl verachtet oder beobachtet zu werden, Beleidigt sein
  • Verletzung seiner moralischen oder religiösen Werte
  • Gewissenskämpfe zwischen seinen moralischen oder religiösen Werten und dem Ausleben seiner Sexualität
  • Themen mit depressiver Konnotation

Anders als Schizophrene haben von E. KRETSCHMER beschriebene Sensitive wenige oder gar keine visuellen oder auditiven Wahnvorstellungen. Wie bereits besprochen können jedoch die von J.M. SUTTER und J.C. SCOTTO beschriebenen „instabilen Wahnzustände“ solche Halluzinationen aufweisen.

2. Der akute dissoziative Wahnsinn

Dies ist das extreme Stadium des sensitiven Beziehungswahns. Der Wahn wird als dissoziativ bezeichnet, weil keine logischen Verbindungen zwischen den Wahnsinnigen Ideen des Patienten bestehen.

E. KRETSCHMER definiert ihn in der dritten Ausgabe seines Buchs „Der sensitive Beziehungswahn“ wie folgt :

« Le délire de relation atteint son degré suprême lorsque l’état paranoïaque se transforme en un délire dissociatif aigu. Ce dernier apparait, en phase critique de courte durée, au paroxysme des psychoses sensitives les plus graves. Son aspect psychique se caractérise par les tensions extrêmes des affects et son contenu par l’apparition des groupes de représentations catatoniformes, d’influence physique, de transmission de pensée et des sentiments d’étrangeté. En plus il se traduit par un relâchement des liens associatifs et par une tendance à transformer le désespoir en un délire de grandeur. Son tableau symptomatique se distingue aussi des états  schizophréniques dans l’acceptation restreinte de ce terme, par l’absence d’une conscience concrète immédiate de l’expérience délirante, par une fluctuation constante du sens du réel, par l’absence de l’attitude autistique, par une attitude affective naturelle d’un abord facile et par de la sociabilité.

Diese Form des akuten sensitiven Wahns ist besonders gefährlich für den Patienten, weil dieser sich seinem Wahn nicht bewusst ist und keinerlei Realitätssinn hat. Seine Sofortige Einweisung in ein Krankenhaus ist demnach unumgänglich.

3. Die sensitive Beziehungsneurose

Als Beziehungsneurose bezeichnet Kretschmer „Zustände, bei denen der Realitätswert der Beziehungsideen unterhalb der Grenze des Psychotischen bleibt“.

Dieser Typ “ peut former une étape initiale prolongée des maladies mentales ultérieures. Mais ce sont surtout les névroses de relation secondaires qui ont de l’importance parce qu’elles peuvent, après la disparition d’un délire de relation sensitif laisser un résidu durable…Ces états portent en eux les prédispositions aux rechutes psychotiques“.

In einem weiteren Abschnitt schreibt Kretschmer : “ il est important de souligner en rapport avec la névrose le fait que la névrose chez un individu spécifiquement prédisposé n’a besoin d’un motif pressant que pour sa première apparition. Par la suite, de faibles motifs de la vie de tous les jours suffisent pour mettent en branle les mécanismes obsessionnels.

Alles ist so, als wenn die Psyche des Sensitiven sich an die Emergenz der Neurose gewöhnen würde. Wir haben festgestellt, dass auch für den Beziehungswahn und sogar für den akuten Wahnsinn gilt. Es ist also wichtig, Phasen geringer Ausprägung der Störungen für die Verbesserung der medikamentösen Behandlung zu nutzen.

4. Die Sprunghafte Wahnbildung, zu den Zwangsneurosen gehörend

Dieser Typ als klar definierbare Form ist selten: E. KRETSCHMER gibt an, dass ihm in seiner Laufbahn nur ein einziger Fall in dieser Form begegnet ist. Diese Sprunghafte Wahnbildung hat seine Ursache in einer schweren Nervosität, aus der sprunghaft und in kurzen Abständen wahnsinnige Gedanken entstehen. Diese Form ähnelt den obsessionnellen Neurosen.